Was haben wir debattiert – in der Schulzeit und später im Studium. Ob das funktionieren kann oder nicht eine riesige Zumutung ist: die Feindesliebe, zu der Jesus einlädt. Ich scheiterte oft daran mir einfach einen Feind vorzustellen. Ja, es gab schon den Mitschüler, der nervte, und den Lehrer, der mir das Leben schwer machte. Aber das alles waren doch nicht wirklich: Feinde! Als ich das erste Mal nach Israel kam, da berührte mich sehr die große Gastfreundschaft, mit der wir empfangen wurden. Und nachdem ich in Yas Vashem die bedrückenden Bilder unvorstellbarer Grausamkeiten von Hitler-Deutschland gegenüber dem jüdischen Volk sah, erlebte ich so richtig Scham Deutscher zu sein , und die Freundlichkeit, die wir überall erlebten, in Hotels, im Kibbuz und überall, bekam einen ganz besonderen Stellenwert: da war so viel von der Kraft der Versöhnung zu spüren! Wenn ich jetzt die Bilder aus der Ukraine sehe, frage ich manches Mal: wie wird es dort weitergehen? Wann und wie kann dort Versöhnung wachsen nach den vielen Grausamkeiten, die dem ukrainischen Volk gerade zugemutet werden? Geht das überhaupt? Wie sollen ukrainische Männer, die das, was von ihrer Heimat noch geblieben ist, verteidigen, wie sollen sie diejenigen , die da ungebeten und unerlaubt und gegen alles Völkerrecht gegen sie vorrücken, ihre Frauen und Kinder bedroht, womöglich getötet haben, rücksichtslos Wohnblöcke und Krankenhäuser bombardieren – wie sollen sie sie: lieben können? Welch hohes Wort: „lieben“ – wie sollen sie überhaupt über diese nicht mit Hass und unter Verlust aller Menschlichkeit herfallen? Welche Zumutung steckt drinnen in diesen Worten Jesu! Es wird mir gerade ganz neu bewusst! Wo ich doch schon als Zuschauer die Bilder nicht mehr ertragen kann, wie sehr die Zivilbevölkerung der Ukraine leidet und wie bewusst von russischer Seite dieses Leid in Kauf genommen wird! Von Martin Luther King stammen – aus anderer Zeit in anderer Situation – diese ganz besonderen Worte: „Hass mit Hass zu vergelten wird nur den Hass vergrößern und eine bereits sternenlose Nacht in noch tiefere Finsternis tauchen. Finsternis kann Finsternis nicht vertreiben: Das vermag nur das Licht. Hass kann Hass nicht beenden: Das kann nur die Liebe.“ Möge die Gewalt endlich aufhören und Krieg durch Verhandlungen abgelöst werden. Möge die Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes nicht verlieren! Und möge auch auf lange Sicht im Miteinander zweier Brudervölker und auch im europäischen Miteinander: die Liebe siegen! Für die Liebe leben wir. Und wenn wir einmal sterben müssen, dann: mit der Hoffnung auf Liebe, die am Ende bleibt!
Bleibt behütet!