Für die fünfte Woche der Fastenaktion 2022 der evangelischen Kirche in Deutschland ist eine dramatische Geschichte aus dem Ersten Testament, Erstes Buch der Könige Kapitel 3, vorgeschlagen – unter der Überschrift: Knoten lösen: zwei Frauen, die in einem Haus zusammenleben, kommen mit einem neugeborenen Kind zum für seine Weisheit bekannten König Salomo und behaupten beide: „Das ist mein Kind!“ – Endlich erzählen sie ihre Geschichte – allerdings in zwei verschiedenen Versionen. Sie berichten, sie hätten kurz hintereinander ihr Kind bekommen. Jede beschuldige die andere Frau, dass diese ihr eigenes Kind im Schlaf erdrückt hätte und dann der anderen Frau im Schlaf deren lebendes Kind weggenommen und zu sich genommen hätte und der anderen das gestorbene Kind in den Arm gelegt hätte. Nun soll der König richten und entscheiden, wem das lebende Kind gehört. – Heute wäre das einfach: DNA-Test, und alles geklärt. Damals schlägt der König eine – soll ich sagen: unkonventionelle? Eine vor allem unfassbar brutale Methode vor: er lässt sich ein Schwert bringen und schlägt vor das Kind einfach zu teilen und jeder Mutter eine Hälfte zu geben. Die eine willigt sogar noch ein – während die andere erklärt: lieber würde sie dann auf ihr Kind, das sie von Herzen liebt, verzichten und es ganz der anderen Frau überlassen, als zuzulassen, dass ihr Kind stürbe. Daraufhin weiß der König, wem dieses Kind gehört: die, die es bereit war loszugeben, damit es wenigstens überlebt. Und so legt er dieser, der wahren Mutter, das Kind in den Arm. Weiser König Salomo in dieser Geschichte vom Losgeben. Wahre Liebe kann verzichten. Das ist eine tiefe Weisheit. Wer seine Kinder liebt, der weiß, dass die Kinder ihren Eltern nicht gehören, dass das Kindeswohl über das eigene Wohl gehen muss. Mit dieser Einstellung schaffen es Eltern, die sich getrennt haben, Lösungen zu finden, wann wer Zeit mit dem Kind verbringen kann, Lösungen, die für das Kind gut sind. Mit dieser Einstellung schaffen es Eltern ihren heranwachsenden Kindern Freiheit zu geben und vor allem zuzulassen, dass diese ihren Weg durchs Leben finden und nicht den Vorstellungen der Eltern für sie folgen müssen. Momentan kommen auch Kinder und Jugendliche alleine, ohne ihre Eltern, aus der Ukraine nach Deutschland. Losgegeben von ihren Eltern, die nicht einfach mitkommen konnten, weil sie vor Ort gebraucht werden oder als Männer das Land gar nicht verlassen dürfen. Aber ihre Kinder wollen sie in Sicherheit wissen. Welch ein Trennungsschmerz – welch eine Entscheidung, wissend, sich vielleicht nie wieder zu sehen. Ein junger Mann kam an, den die Mutter davor bewahren wollte mit seinen gerade mal 16, 17 Jahren im Kampf zu fallen. Elternliebe gibt los, um dem Kind Lebenschancen zu geben! Ich muss aber auch an die andere Frau in der Geschichte denken. Die vielleicht aus Unwissenheit ihr Kind im Schlaf erdrückt hat und über diesen Schmerz nicht hinwegkommt, so dass sie nun auch keiner anderen Mutter mehr ihr Mutterglück gönnt. Nehmen wir den Schmerz derer immer genügend war, die gerade auf der Schattenseite des Lebens stehen? Die in so viel Schicksalsschlägen sehr bitter geworden sind? Oder sonnen wir uns so sehr im eigenen Glück, dass wir die anderen verlieren? Wie können wir helfen, dass ihr Schmerz – ja, wohl nie verheilen wird, aber vielleicht etwas weniger weh tut? Dass sie selber wieder anderen ihr Glück gönnen können, weil sie selber wieder etwas Glück verspüren? Der weise König Salomo hat mit seiner Art und großen Weisheit damals den Rechtsfall gelöst: die Mutter bekam ihr eigenes Kind wieder. Wenn er dann sich auch noch der anderen Frau angenommen hat und ihr einen Weg zeigte mit ihrem Schmerz umgehen und weiterleben zu können: dann hat er womöglich noch mehr Größe bewiesen. Die Bibel erzählt davon nichts. Aber die Bibel erzählt ja längst nicht immer alles – wir sollen diese Geschichten ja selber weiterdenken und mit Leben füllen. Eines aber macht die Bibel an vielen Stellen klar: dass Gott bei denen ist, die am meisten Hilfe brauchen! Keine Träne rollt, kein Herz schmerzt, ohne dass es Gott nicht mitfühlt. Wie viel Schmerz leidet Gott gerade an dieser Welt, wie sie ist!
Bleibt behütet!