„Habt ihr das gelesen?“ , fragt ein Kollege in unserer Facebook-Pastorengruppe und postet dann einen Zeitungsartikel des Südkuriers. Na ja, dessen Verbreitungsgebiet ist so ziemlich der geographisch entgegengesetzte Bereich des Nordfriesischen Tagblatts. In dem Artikel beklagt der Autor, dass Kirchen in der Corona-Krise allzu schnell sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hätten. Klaglos wären Kirchen geschlossen und schnell mal das Osterfest für abgesagt erklärt worden. Im Web tummelten sich zwar tausende Online-Angebote, aber der Personenkreis, der besonders die Kirche sucht, die Älteren, würden nicht erreicht. Pastoren ziehen sich zum Eigenschutz in ihre vier Wände zurück und lassen die Herde allein.
Jetzt musste es sein! Morgens beim Aufstehen standen meine Haare schon völlig in alle Richtungen ab, so lang sind sie geworden, und so sprang ich dann bei der ersten Gassitour vor dem Duschen mit unseren Hunden im Garten herum! Und überhaupt, vor Ostern musste unbedingt noch der übliche „Osterschnitt“ sein. Schwierig in Zeiten von Corona, weil meine Lieblingsfriseurin in einem hiesigen Nachbarbüll derzeit aus guten Gründen ihren Laden geschlossen halten muss. Also muss meine Frau ran! Eine Schere haben wir auch. Und los geht es. Mit etwas klopfendem Herzen sitze auf dem Stuhl und höre mir die Anweisungen an. „Halt dich doch mal gerade!“ – „Schau mich an!“ – „Schau nach links, nein, nicht so weit nach unten.“ Ich halte die Luft an, und zwar nicht um auf diese Weise einen Corona-Schnelltest an mir selber durchzuführen, sondern weil ich mich kaum zu bewegen traue.
Wisst ihr noch? Heute vor drei Monaten war Weihnachten. In der Adventszeit konnten wir jeden Abend zusammenkommen beim Adventskalender: Nachbarn, Freunde: wie kostbar ist das! An Heilig Abend saßen wir dicht an dicht in den Kirchen – ein schönes Gefühl von Gemeinschaft. Und über die Feiertage konnten wir einander besuchen und spontan auch bei den Nachbarn klingeln, frohe Weihnacht wünschen, uns in den Arm nehmen. Heute klingt das fast so wie aus einer anderen Zeit! Da habe ich jetzt doch tatsächlich ein Weihnachtslied im Kopf – kein so bekanntes, aber es steht in unserem Gesangbuch. Ich mag es sehr, die Melodie und den Text: „Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht traurig sein. Der immer schon uns nahe war, stellt sich als Mensch den Menschen dar. Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht endlos sein.“ (Dieter Trautwein). Nicht nur traurig – und schon gar nicht endlos – können wir so diese Zeit mit Corona jetzt annehmen? Lasst uns weiter Tag für Tag bestehen, uns Nähe und Verbundenheit nun anders zeigen. Unsere Weihnachtslaterne steht noch vor dem Pastorat, da will ich heute Abend um 18.00 Uhr, wenn die Glocke in Emmelsbüll läutet, einfach eine brennende Kerze hineinstellen. Vielleicht mögt ihr auch heute Abend eine Kerze anzünden und ins Fenster stellen, und wir können gemeinsam beten: für alle in der Pflege und in den Krankenhäusern Tätigen, für alle Erkrankten und die in Quarantäne, für alle an der Arbeit und für alle, die nicht arbeiten dürfen. Für alle, die viel Sorgen haben und für alle, die anderen ein paar Sorgen abnehmen, indem sie für sie einkaufen und sich kümmern. Gott begegnet uns im Mitmenschen, der sich uns zuwendet, in Worten, die Hoffnung geben, im Licht, das nicht verlöscht, in der Liebe, die wir weitertragen können. – Und wenn in acht Monaten die Adventszeit beginnt – vielleicht können wir sie dann noch mal so dankbar begehen, wenn es hoffentlich wieder möglich ist: jeden Abend zusammenzukommen und uns auf Weihnachten zu freuen.
Bleibt gesegnet und behütet! Euer Pastor Gerald
Vorgestern Radtour mit meinen Mädels Richtung Südwesthörn. Dabei kamen wir auch an dieser Schafherde vorbei. Mutterschafe und ihre Lämmer. Wir mussten einfach einen Moment absteigen und zuschauen. Es sah so unbeschwert und idyllisch aus. Und hat uns doch in dieser Zeit wohl mehr berührt als sonst: Die Lämmer sprangen ausgelassen in die Höhe oder kuschelten sich an ihr Mutterschaf.
Sie wissen nichts von den Sorgen der Menschenwelt um sie herum. Wir vergaßen diese Sorgen auch für einen Moment. Mal kein Corona. Einfach nur schauen, genießen, abschalten. Irgendwann stiegen wir wieder auf die Räder und fuhren weiter. „Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater.“ Sagt Jesus im Johannesevangelium. Jesus ist wie ein treusorgender Hirte, der für seine Schafe sorgt. Die dürfen vertrauen – der Hirte macht das schon. Der sucht nach Weide und Wegen und Wasserstellen. So ist Jesus. Er ist uns nahe. Er zieht sich nicht von der Herde zurück. Er steht uns Menschenkindern bei. Auch in diesen besonderen Zeiten. Er weiß um unsere Sorgen und Gedanken, unser Bangen um liebe Angehörige, unseren sorgenvollen Blick Richtung eigene Zukunft. Er sieht, wie manche für die anderen einfach da sind, sich selbstlos einsetzen, bis an die Grenzen der eigenen Kraft. Er sieht andere, die langsam lernen: Hilfe zuzulassen. Nicht selber jetzt einkaufen zu müssen , wenn man Vorerkrankungen hat oder schon älter ist. Sondern sich helfen lassen, auch das ist Menschsein: Hilfe empfangen dürfen und sich dabei nicht als Last erleben, sondern noch immer als wertgeschätzter Teil unserer Gesellschaft, für den gesorgt wird, wie der Hirte für jedes seiner Schafe sorgt. Jesus sieht weiter. Er weiß, was noch alles auf uns zukommt. Er sieht sie aber auch schon, die Zeit nach Corona, von der wir jetzt nur vage träumen können. Aber mit ihm als Hirten an unserer Seite halten wir doch durch! Und wir sind nicht allein. Wir stehen als bedürftige Herde mit Abstand und doch verbunden da. Und schauen, so gut wie das jetzt geht, ganz besonders eine, einer nach dem andern. Haltet gut durch! Der gute Hirte sieht nach uns. Und manchmal schenkt er uns Augenblicke, da sind die Sorgen für einen Moment außen vor. Und wir genießen das Leben, das gerade jetzt ein besonders kostbares Geschenk ist. Wie wir vorgestern auf dem Weg Richtung Deich bei einer Herde Schafe.
Seid behütet! Euer Pastor Gerald
„O Freunde, nicht diese Töne. Sondern lasst uns angenehmere anstimmen und freudenvollere.“ So fängt sie an, in der 9. Sinfonie von Beethoven, die Ode an die Freude. Gestern Abend wurde sie auf unzähligen Balkonen und Terrassen intoniert. Selbstständige Profimusikerinnen und -musiker, momentan ohne Aufträge, mischten sich genaus unter die Spielenden wie Hobbymusiker. Und andere machten einfach Türen und Fenster auf und lauschten. Mal für einen Moment kein Corona. Mal für einen Moment keine Sorgen und Klagen- sondern Freude. Mal für eine Moment etwas Europaumspannendes, wo derzeit jedes Land vielleicht viel zu sehr auf sich alleine gestellt ist und die Herausforderung durch Corona noch viel zu wenig als Herausforderung für Europa als ganzes gesehen wird und für die Welt. Ausgerechnet die Ode an die Freude, die Europahymne, wurde gespielt. Und mancher sprach vielleicht auch den Text leise mit: „Seid umschlungen, Millionen, dieser Kuss der ganzen Welt. Brüder, überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen.“
In Zeiten, wo man sich besser nicht umarmen sollte, wurde ein musikalischer Kuss von einem zum anderen gesandt, virenfrei. Ein kostbares Zeichen der Verbundenheit. – An den liebenden Vater , die liebende Mutter, mit der Gott gestern im Predigttext bei Jesaja verglichen wurde, fällt uns momentan gar nicht so leicht zu glauben. Gott lässt das Virus nicht einfach zu. Und er vergräbt sich nicht hinter den Wolken. Er ist uns , sie ist uns sehr Ist mit uns in Quarantäne. Ist bei uns, wenn es ärztliche Hilfe nicht mehr gibt. Stärkt Ärztinnen und Pfleger, dass sie die Arbeitsbelastung schaffen. Schenkt Forschenden Ideen, wie das Virus in den Griff zu kriegen ist. Ist der Anruf, der die Einsame erreicht. Nicht hinter den Sternen. Mitten unter uns, in uns, wohnt der liebende Gott. Du kannst ihn heute zu den Menschen bringen!
Seid gesegnet! Euer Pastor Gerald
Also, dass ich einmal erleichtert auf einen Arbeitstag schauen würde, an dem zwei Taufen und eine Trauung erst einmal abgesagt und alle Konfirmationsgottesdienste verschoben wurden, hätte ich vor wenigen Wochen nicht gedacht …
Es sind Corona-Zeiten. Und es hat mich berührt, wie schnell sich in unseren drei Gemeinden Eltern und Jugendliche auf jeweils einen Ausweich-Konfirmationstermin im September einigen konnten. So, dass es für die mit Landwirtschaft, die im Herbst ja auch voll gefordert sind, doch irgendwie passen konnte. Schön, dass das alles so geklappt hat! – Neben aller Sorgen um liebe Menschen, um die berufliche Existenz von Menschen, die uns nahestehen, und Einrichtungen, Geschäften, Restaurants, die uns viel bedeuten, ist doch auch ganz viel Sanftheit zu spüren im Umgang miteinander. Mehr Dankbarkeit an Supermarktkassen und in Arztpraxen für den Dienst derer, die da noch immer die Stellung halten. In unserer Familien-Whats-App-Gruppe wurde lange nicht so viel nachgefragt: Wie geht es euch? und ein „Passt auf euch auf, hab euch lieb“ gepostet. Und mancher meldet sich aus dem Bekannten- und Freundeskreis, mit dem länger nicht viel Kontakt war. Menschen rücken physisch auseinander, aber innerlich, mit ihren Herzen, zusammen. Und Gott muss sich nicht um eine Ansteckung an uns sorgen. Er will uns besonders nahe sein. Er hält bei uns aus, und wir können ihm unser Herz ausschütten. Er versteht und sagt: Ich bin da. Fühle und leide mit dir mit. Will dir Mut und Kraft geben. Ich bin da! – Sagt das denen, die momentan ganz einsam sind in Pflegeheimzimmern oder in Quarantäne. Sagt das denen, die das Gefühl haben, dass von ihren persönlichen Sorgen niemand Notiz nimmt. Gott ist ganz nahe.
Die Tageslosung heute lautet: „Der Herr spricht: Ich will Frieden geben in eurem Lande, dass ihr schlaft und euch niemand aufschrecke.“ (3. Mose 26,6).
Kommt gut durch den Tag!