Butscha – deine Kinder liegen auf der Straße.
Butscha – sie wollten nur ihr nacktes Leben retten, irgendwie diesen Krieg überstehen.
Butscha - sie haben doch nur mal kurz den Bunker verlassen.
Butscha – sie saßen im Auto, auf dem Fahrrad, gingen zu Fuß und vollkommen unbewaffnet, als die todbringende Kugel sie traf.
Butscha – manche hatten sogar gefesselte Hände. Wehrlos erschossen, ermordet, hinterrücks.
Butscha – vor der Kirche ist ein riesiges Massengrab. Deine Söhne und Töchter liegen darinnen, ermordet von denen vom Brudervolk.
Butscha – die Menschlichkeit liegt zerschlagen irgendwo dort draußen auf den Straßen. Die Barmherzigkeit hat man zum Teufel geschickt.
Butscha – wie kann ein Mensch das ertragen: diese Bilder? Wie könnte aus solchem Unrecht je ein Vergeben erwachsen, Versöhnung eines Tages möglich werden?
Butscha – sie wollten dich zum gottlosesten aller Orte machen.
Es ist ihnen gelungen.
Aber doch nicht ganz. Denn Gott ist überall gegenwärtig in deinen Gassen. Noch immer. Und jetzt erst recht. Er liegt auf den Straßen. Er ist begraben in finsteren Gräbern. Er fließt aus Tränen tausender Gesichter. Er ist im Entsetzen all derer, die die Bilder sehen. Er ist da, wo Menschen leiden, und leidet mit, lässt zu, dass alles, für das er steht, mit Füßen getreten wird: Die Liebe, die Hoffnung, den Glauben. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, betet Jesus am Kreuz. Und stirbt mit all denen in Butscha, die grausam zugerichtet sind.
Und wird auferstehen. Mit all denen, die im Leiden seine Schwestern und Brüder sind. Er ist schon dabei. Die Liebe steht auf. Die Gerechtigkeit wird aufstehen. Die Hoffnung wird eines Tages wachsen. Und Butscha wird niemals vergessen werden. Und die Menschlichkeit wird sich irgendwann wieder durch die Tür hineintrauen.
Butscha. Gott, sei bei deinen Kindern, die, die in deinen Mauern leben und die, die nun bei Gott leben.
Butscha – in dir hat Gott längst seine Hütte gebaut und wird bleiben. Und hält dich weinend im Arm. Ohne Worte. Mit unendlicher Liebe.
Für die fünfte Woche der Fastenaktion 2022 der evangelischen Kirche in Deutschland ist eine dramatische Geschichte aus dem Ersten Testament, Erstes Buch der Könige Kapitel 3, vorgeschlagen – unter der Überschrift: Knoten lösen: zwei Frauen, die in einem Haus zusammenleben, kommen mit einem neugeborenen Kind zum für seine Weisheit bekannten König Salomo und behaupten beide: „Das ist mein Kind!“ – Endlich erzählen sie ihre Geschichte – allerdings in zwei verschiedenen Versionen. Sie berichten, sie hätten kurz hintereinander ihr Kind bekommen. Jede beschuldige die andere Frau, dass diese ihr eigenes Kind im Schlaf erdrückt hätte und dann der anderen Frau im Schlaf deren lebendes Kind weggenommen und zu sich genommen hätte und der anderen das gestorbene Kind in den Arm gelegt hätte. Nun soll der König richten und entscheiden, wem das lebende Kind gehört. – Heute wäre das einfach: DNA-Test, und alles geklärt. Damals schlägt der König eine – soll ich sagen: unkonventionelle? Eine vor allem unfassbar brutale Methode vor: er lässt sich ein Schwert bringen und schlägt vor das Kind einfach zu teilen und jeder Mutter eine Hälfte zu geben. Die eine willigt sogar noch ein – während die andere erklärt: lieber würde sie dann auf ihr Kind, das sie von Herzen liebt, verzichten und es ganz der anderen Frau überlassen, als zuzulassen, dass ihr Kind stürbe. Daraufhin weiß der König, wem dieses Kind gehört: die, die es bereit war loszugeben, damit es wenigstens überlebt. Und so legt er dieser, der wahren Mutter, das Kind in den Arm. Weiser König Salomo in dieser Geschichte vom Losgeben. Wahre Liebe kann verzichten. Das ist eine tiefe Weisheit. Wer seine Kinder liebt, der weiß, dass die Kinder ihren Eltern nicht gehören, dass das Kindeswohl über das eigene Wohl gehen muss. Mit dieser Einstellung schaffen es Eltern, die sich getrennt haben, Lösungen zu finden, wann wer Zeit mit dem Kind verbringen kann, Lösungen, die für das Kind gut sind. Mit dieser Einstellung schaffen es Eltern ihren heranwachsenden Kindern Freiheit zu geben und vor allem zuzulassen, dass diese ihren Weg durchs Leben finden und nicht den Vorstellungen der Eltern für sie folgen müssen. Momentan kommen auch Kinder und Jugendliche alleine, ohne ihre Eltern, aus der Ukraine nach Deutschland. Losgegeben von ihren Eltern, die nicht einfach mitkommen konnten, weil sie vor Ort gebraucht werden oder als Männer das Land gar nicht verlassen dürfen. Aber ihre Kinder wollen sie in Sicherheit wissen. Welch ein Trennungsschmerz – welch eine Entscheidung, wissend, sich vielleicht nie wieder zu sehen. Ein junger Mann kam an, den die Mutter davor bewahren wollte mit seinen gerade mal 16, 17 Jahren im Kampf zu fallen. Elternliebe gibt los, um dem Kind Lebenschancen zu geben! Ich muss aber auch an die andere Frau in der Geschichte denken. Die vielleicht aus Unwissenheit ihr Kind im Schlaf erdrückt hat und über diesen Schmerz nicht hinwegkommt, so dass sie nun auch keiner anderen Mutter mehr ihr Mutterglück gönnt. Nehmen wir den Schmerz derer immer genügend war, die gerade auf der Schattenseite des Lebens stehen? Die in so viel Schicksalsschlägen sehr bitter geworden sind? Oder sonnen wir uns so sehr im eigenen Glück, dass wir die anderen verlieren? Wie können wir helfen, dass ihr Schmerz – ja, wohl nie verheilen wird, aber vielleicht etwas weniger weh tut? Dass sie selber wieder anderen ihr Glück gönnen können, weil sie selber wieder etwas Glück verspüren? Der weise König Salomo hat mit seiner Art und großen Weisheit damals den Rechtsfall gelöst: die Mutter bekam ihr eigenes Kind wieder. Wenn er dann sich auch noch der anderen Frau angenommen hat und ihr einen Weg zeigte mit ihrem Schmerz umgehen und weiterleben zu können: dann hat er womöglich noch mehr Größe bewiesen. Die Bibel erzählt davon nichts. Aber die Bibel erzählt ja längst nicht immer alles – wir sollen diese Geschichten ja selber weiterdenken und mit Leben füllen. Eines aber macht die Bibel an vielen Stellen klar: dass Gott bei denen ist, die am meisten Hilfe brauchen! Keine Träne rollt, kein Herz schmerzt, ohne dass es Gott nicht mitfühlt. Wie viel Schmerz leidet Gott gerade an dieser Welt, wie sie ist!
Bleibt behütet!
Jesus sagt: Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben als ein Lösegeld für viele. (Matthäus 20,28)
Nicht dienen lassen, sondern dienen. Das ist Jesu Sendung. Das lebt er vor. Wir glauben, er ist der Sohn Gottes. Aber tauscht den Himmel ein gegen die Erde. Macht sich klein, wird ein kleines Kind wie wir an Weihnachten. Erlebt Kindheit, Pubertät, Erwachsenwerden. Er kommt nicht um zu rufen: Hier bin ich, huldigt mir! Sondern um zu helfen, hinzugehen, Menschen aufzurichten. Und dann diese Szene kurz vor seiner Verhaftung, wo er auf dem Boden liegt vor seinen Freunden und ihnen die staubigen Füße wäscht. Er ist sich für keinen Dienst zu schade. Und das ist ein Beispiel an uns: es ihm nachzutun. Füreinander da zu sein mit den Gaben, die uns der liebe Gott mitgegeben hat. Uns auch da für keinen Dienst zu schade zu sein. Und wenn wir Hilfe brauchen, dürfen wir bitten: dienen und sich dienen lassen, je nachdem, wie es uns gerade geht: macht uns zu Menschen, Geschöpfen unseres Gottes, der selber mit so viel Liebe für uns da ist. Wie schwer fällt es manchem um Hilfe zu bitten. Zuzulassen, dass man gepflegt werden muss. Das entstellt uns nicht. Es macht uns zu den Menschen, wie sie Gott geschaffen hat. Und erst als Dienstgemeinschaft finden wir zu der schönsten Form menschlichen Zusammenlebens: eine, einer für die andere und den anderen da. Und Jesus ist für uns da, mit ganzer Kraft und Hingabe. Auch noch sterbend um uns zu zeigen: auch das gehört zum Menschsein dazu. Und wenn er es erträgt, dann dürfen wir es auch ertragen. – „Seht, welch ein Mensch“, sagt Pilatus, als er den geschundenen Jesus sieht. Er sieht die halbe Wahrheit: Jesus ganz und gar Mensch geworden im Leiden. Und zugleich Gottes Sohn, der jedem, jeder, der/die leidet, ein Gesicht gibt und seiner Solidarität versichert. – Seid einander zu Diensten. Seid für die da, die momentan so sehr vom Leiden gezeichnet, auf Hilfe angewiesen sind. Und bittet um Hilfe, wo ihr Hilfe braucht. Tut einander gut. Und der Himmel pulsiert mitten unter uns.
Seid behütet!
Foto: Gestern Blick vom Michel auf unserem Konfiausflug nach Hamburg.
Die Tageslosung für heute: „Gott ließ das Volk einen Umweg machen, den Weg durch die Wüste zum Schilfmeer.“ (2. Mose 13,18)
Der direkte Fluchtweg aus Ägypten wäre damals zur Zeit des Mose durch das Land der Philister gewesen – aber da hätten vermutlich gleich Kämpfe auf das Volk gewartet. So lässt Gott die Menschen einen Umweg gehen. – Umwege. Wie herrlich, wenn so ein Umweg Frieden bedeutet statt Kampf und Krieg. So ein Umweg wird jetzt auch gebraucht im Krieg von Russland gegen die Ukraine. Vielleicht in Form eines Vermittlers, der beide Seiten zu einem Kompromiss führen kann. Umwege im Leben: die gibt es doch ganz oft: der eine dreht in der Schullaufbahn eine Ehrenrunde, die zweite ergreift einen Beruf auf dem zweiten Bildungsweg, der dritte verbringt erst einige Jahre im Ausland, bis er dann die Traumstelle in Deutschland angeboten bekommt, die vierte ist schon zum dritten Mal verheiratet, aber ist überzeugt: Jetzt ist es der Richtige. Umwege sind keine vertane, verlorene Zeit, sondern bedeuten kostbare Zeit zum Reifen, zum Erfahrung-Sammeln, zum Sich-Finden. Mancher findet auch erst auf Umwegen zu Gott, vielleicht durch eine tiefe Lebenskrise oder durch die Begegnung mit jemand, der einfach überzeugend war. - Ich muss auch an ein Paar denken: beide waren in Schulzeiten schon verliebt ineinander. Haben sich dann aus den Augen verloren. Andere Partner geheiratet, mit denen sie sehr glücklich waren. Jetzt sind beide schon verwitwet und sind sich auf einmal begegnet. Kein Zufall, da sind sie sich sicher. Einfach eine neue Chance. Sie sind nun zusammen, haben sich gegenseitig aus dem Tal ihrer Trauer herausgeholfen, haben wieder Lebensmut und gehen nun das meiste gemeinsam an. – Ich glaube fest: auf Umwegen liegt oft ein besonderer Segen. Gott weiß schon, was er tut!
Bleibt behütet!
1. April vor 20 Jahren – das war der erste April ohne meine Oma. An dem Tag hatte sie immer Geburtstag. Oma, die für uns Enkel da war, mithalf Kreppel zu backen an Fasching, damit wir unsere Schulfreunde einladen konnten. Oma, die den besten Schokopudding mit der besten Vanillesoße kochte, und den gab es immer samstags. Oma, die uns gerne etwas zusteckte und bei der wir gerne übernachteten: das war immer aufregend. Oma, die Kinder einfach gern hatte und ihre Urenkel so knapp verpasste: unsere älteste Tochter war gerade unterwegs, als Oma starb. Der 1. April war immer ihr Geburtstag. Vor gut 20 Jahren ist sie gestorben. Heute muss ich an sie denken. Und ihr habt vielleicht auch so einen Herzensmenschen, der schon lange gegangen ist und doch seinen Platz in euren Herzen behält. Bis wir uns hoffentlich im Himmel einmal alle wiedersehen.
1. April. An dem Tag musste man schnell sein. „Dein Schuh ist offen“, „Über dir hängt eine dicke Spinne“, „Hast du ein riesiges Loch hinten in der Hose“, „Wie, weißt du nicht, dass wir heute die Mathearbeit schreiben?“ – Am 1. April kam es darauf an den anderen als erstes in den April zu schicken. Mit ernster Unschuldsmiene irgendwelche Sachen erzählen, die nicht stimmen, aber dem anderen einen riesen Schrecken einjagen. Und dann rufen: April, April! Das machte diesen Tag so besonders. „Es hat geschneit!“ – Wenn mir das gestern jemand zugerufen hätte, bevor ich aus dem Fenster geschaut hätte – ich hätte wohl als erstes „April, April“ gesagt und dann erst gemerkt, dass noch März ist. – Also, passt gut auf, was ihr heute erzählt bekommt. Aber wenn jemand sagt: Mensch, Gott hat dich lieb! Dann darfst du ihn beim Wort nehmen. Das ist kein Aprilscherz: Egal, was wir angestellt haben. Gottes Herz ist riesig groß für uns. So ähnlich eben wie das Herz von meiner Oma! –
Bleibt behütet!
In den 80er Jahren war es einer der ganz großen Hits: Nenas 99 Luftballons. Der Song erzählt die Geschichte, wie es aus ganz nichtigem Anlass zum Krieg kommt: in dem Fall wegen Luftballons, die einfach in der Luft über Grenzen hinwegtreiben und einen Krieg auslösen, bei dem es am Ende „keinen Platz für Sieger“ mehr gibt. Heute ist der fünfte Donnerstag, an dem Krieg herrscht in der Ukraine. Und aus welchen Gründen auch immer Russland das Nachbarland Ukraine so übel überfallen hat – nichts rechtfertigt einen so brutalen Einfall in ein Land, in dem die Menschen einfach nur unbehelligt ihr Leben leben wollten, unter demokratischen Spielregeln und selbstbestimmt. Und wie immer die Sache ausgeht: die Menschlichkeit hat längst verloren in diesem Krieg, in dem die Zivilbevölkerung dermaßen leiden muss, in dem vor aller Augen so viele Menschenrechtsverletzungen durch den Angreifer geschehen, in dem nicht einmal ein Waffenstillstand, ein Tag Pause gewährt wird etwa den Menschen in Mariupol , in so verzweifelter Lage, und in dem die geringsten humanitären Zusagen schon am folgenden Tag wieder einkassiert werden. Wie immer der Krieg ausgeht – das Wort Sieg wird man am Ende kaum in den Mund nehmen können, dafür ist der Preis so vieler Unschuldiger, die schon getötet wurden, so hoch. Und doch fiebern wir doch mit, dass am Ende sich wenigstens nicht die gemeine Aggression des Angreifers durchsetzt, der einem anderen Land dessen Freiheit und Selbstbestimmung nicht gönnt, sondern dass der Einsatz für eben diese Freiheit, für Menschenrechte, für Demokratie, für Werte, wie wir sie hier in Deutschland doch auch teilen mit den Menschen in der Ukraine, gewinnt. In der Bibel ist es der Riese Goliath, der den kleinen David herausfordert und am Ende unterliegt. Ein großes Schwert gegen eine kleine Steinschleuder. Und doch gewinnt die Schleuder. Und heute. Ich hoffe sehr auf David. Aber noch schöner wäre es, wenn die beiden gar nicht weiter kämpfen würden, bis einer unterliegt, sondern die Waffen weglegen würden, Krieg Krieg sein ließen, einen Kaffee trinken würden und ansonsten einander und alle anderen um sie herum einfach in Ruhe ließen. In der Bibel hat Jesaja diese Hoffnung in unnachahmliche Worte gefasst: einmal wird kein Volk mehr lernen gegen das andere Krieg zu führen! Was – wenn dieses „einmal“ heute begänne?
Bleibt behütet!
Foto: Dieses Backwerk begegnete mir in einer Bäckerei in Elmshorn, nahe am Bahnhof.