Mitten in der Nacht ging das Notfallhandy. Einsatz bei einem Wohnungsbrand. Ziemlich weit von mir entfernt, nahe Viöl. Über eine dreiviertel Stunde Anfahrt. Das ist ziemlich lang, wenn doch schnell jemand vor Ort benötigt wird. Unserem Koordinator in der Einsatzstelle fiel ein Kollege ein, der näher dran war und außerdem eine Zusatzqualifikation im Notfalleinsatz hatte. Und der war trotz der nächtlichen Uhrzeit sofort am Handy erreichbar und übernahm. Gestern auf unserem Pastorenkonvent nun wollte ich ihm einen kleinen Dank abstatten. In der Pause legte ich auf seinen Platz einfach eine Packung Merci ab. – Als Kind fand ich das bei uns im Mietshaus immer so schön – wenn plötzlich mal was für uns Kinder vor der Tür lag, von einem unserer Nachbarinnen und Nachbarn, etwa an Nikolaus oder zu Ostern einfach abgelegt. Manchmal haben wir nie erfahren, von wem die Überraschung kam. – So wollte ich auch meinen lieben Kollegen überraschen. Als ich vom Konvent wieder daheim war, schrieb ich ihm aber doch ein paar Zeilen: Das Merci war von mir, nochmal vielen Dank für Deinen Einsatz. Nach einer Weile kam die Antwort: Er habe nichts von seinem Glück geahnt, und er habe sich nicht getraut in der Fastenzeit an fremde Süßigkeiten zu gehen und daher die Schokolade liegengelassen … – Tja, zu anonym ist dann eben doch nicht gut, merkte ich! Zumal in der Fastenzeit! – Wobei wir uns dann beide trösteten mit der Hoffnung: hoffentlich hat sich wenigstens die Reinigungskraft am Abend getraut die Schokolade mitzunehmen – dann hätte sie ja wenigstens noch eine wunderbare Funktion erfüllt!

Lasst euch heute mal von hoffentlich etwas Schönem, Süßem überraschen! Und bleibt behütet!

 

Foto: Der kann das besser mit dem Verstecken – der Osterhase. 2019 in Klanxbüll, Eckhard Otte schlüpfte in das Kostüm

Was für mutige Menschen gibt es eigentlich?! Die letzten Tage hätten wir gleich mehrere Personen mit dem Menschenrechtspreis für besonderen Mut ehren können. Da war zum einen Marina „Maria“ Owssiannikowa, die zur besten Sendezeit im russischen Staatsfernsehen mit einem Plakat im Bild erscheint, auf dem die Worte stehen: „Nein zum Krieg“ und: „Glaubt der Propaganda nicht, sie belügen euch hier!“ Ein paar Sekunden dauert der Protest, dann schaltet das Fernsehstudio weg, und Marina wird verhaftet. – Dann sind da die Ministerpräsidenten von Slowenien, Polen und Tschechien, die sich in den Zug nach Kiew setzen um dort den ukrainischen Staatspräsidenten Selenskyi zu treffen. Sie reisen mitten ins Zentrum des Krieges und geben so ein deutliches Zeichen der Solidarität mit der Ukraine und ihrer Staatsführung. -Und dann ist da noch Vater Johannes, Priester in Karabanovo in Russland, der bereits am 6. März in einer Predigt den Krieg in der Ukraine „Krieg“ genannt hat und dafür vom russischen Gericht zu einer Geldstrafe von 35.000 Rubel verurteilt wurde. In seiner Verteidigungsrede sagte er u.a.: „Ich habe das Wort Krieg verwendet, weil weder die Bibel noch das Evangelium eine ,besondere Operation‘ kennt. Jeder Konflikt, der zu Aggression und Blutvergießen führt, wird in der Bibel als ,Krieg‘ bezeichnet. Und ich kann nicht anders, als dafür zu beten, dass dieser gestoppt wird.“ Was für mutige Menschen – und es gibt noch andere Beispiele von unglaublichem Mut in diesen Tagen! Manchmal frage ich mich, wieviel Mut ich wohl entwickeln würde in einer solchen Situation, oder ob mich nicht vielmehr die Angst lähmen würde! Ich hätte mir allerdings, ich muss es zugeben, gewünscht, dass der Vorschlag des Staatspräsidenten Selenskyi von vor zwei Wochen, dass nach Kiew alle Religionsführer kommen sollten um damit ihre Solidarität mit dem ukrainischen Volk und ihren Wunsch nach Frieden zu unterstreichen, auf einen größeren Nachhall gestoßen wäre. Allen Sicherheitsbedenken zum Trotz. Ich würde es ein starkes, mutiges Zeichen finden, wenn der Metropolit der russisch-orthoxen Kirche, Kyrill, nach Kiew käme um dort für den Frieden zu beten und seinen ukrainisch-orthodoxen Brüdern und Schwestern die Hand zu reichen. Ich würde mir Kirche mutiger wünschen, wohl wissend, dass ich selber ein Teil dieser Kirche bin. Christinnen und Christen könnten so viel mehr bewirken auf der Welt, wenn sie nur mehr zusammenfänden und mutig wären! Wir können beten. Für die, die momentan ganz besonders viel Mut beweisen. Und für die, die momentan etwas mehr Mut ganz gut gebrauchen könnten. Und damit sicher auch für uns alle! Gott sagt: „Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen! Sei getrost und unverzagt.“ (Josua 1,5-6)

Bleibt behütet!

Was haben wir debattiert – in der Schulzeit und später im Studium. Ob das funktionieren kann oder nicht eine riesige Zumutung ist: die Feindesliebe, zu der Jesus einlädt. Ich scheiterte oft daran mir einfach einen Feind vorzustellen. Ja, es gab schon den Mitschüler, der nervte, und den Lehrer, der mir das Leben schwer machte. Aber das alles waren doch nicht wirklich: Feinde! Als ich das erste Mal nach Israel kam, da berührte mich sehr die große Gastfreundschaft, mit der wir empfangen wurden. Und nachdem ich in Yas Vashem die bedrückenden Bilder unvorstellbarer Grausamkeiten von Hitler-Deutschland gegenüber dem jüdischen Volk sah, erlebte ich so richtig Scham Deutscher zu sein , und die Freundlichkeit, die wir überall erlebten, in Hotels, im Kibbuz und überall, bekam einen ganz besonderen Stellenwert: da war so viel von der Kraft der Versöhnung zu spüren! Wenn ich jetzt die Bilder aus der Ukraine sehe, frage ich manches Mal: wie wird es dort weitergehen? Wann und wie kann dort Versöhnung wachsen nach den vielen Grausamkeiten, die dem ukrainischen Volk gerade zugemutet werden? Geht das überhaupt? Wie sollen ukrainische Männer, die das, was von ihrer Heimat noch geblieben ist, verteidigen, wie sollen sie diejenigen , die da ungebeten und unerlaubt und gegen alles Völkerrecht gegen sie vorrücken, ihre Frauen und Kinder bedroht, womöglich getötet haben, rücksichtslos Wohnblöcke und Krankenhäuser bombardieren – wie sollen sie sie: lieben können? Welch hohes Wort: „lieben“ – wie sollen sie überhaupt über diese nicht mit Hass und unter Verlust aller Menschlichkeit herfallen? Welche Zumutung steckt drinnen in diesen Worten Jesu! Es wird mir gerade ganz neu bewusst! Wo ich doch schon als Zuschauer die Bilder nicht mehr ertragen kann, wie sehr die Zivilbevölkerung der Ukraine leidet und wie bewusst von russischer Seite dieses Leid in Kauf genommen wird! Von Martin Luther King stammen – aus anderer Zeit in anderer Situation – diese ganz besonderen Worte: „Hass mit Hass zu vergelten wird nur den Hass vergrößern und eine bereits sternenlose Nacht in noch tiefere Finsternis tauchen. Finsternis kann Finsternis nicht vertreiben: Das vermag nur das Licht. Hass kann Hass nicht beenden: Das kann nur die Liebe.“ Möge die Gewalt endlich aufhören und Krieg durch Verhandlungen abgelöst werden. Möge die Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes nicht verlieren! Und möge auch auf lange Sicht im Miteinander zweier Brudervölker und auch im europäischen Miteinander: die Liebe siegen! Für die Liebe leben wir. Und wenn wir einmal sterben müssen, dann: mit der Hoffnung auf Liebe, die am Ende bleibt!

Bleibt behütet!

Ein Gerechter fällt siebenmal und steht wieder auf. (Sprüche 24,16).

Das ist der Leitvers für die zweite Woche der Fastenaktion der evangelischen Kirche 2022. Eigentlich also für die letzte Woche. Aber heute Morgen fiel mir der Vers auf. Ein Gerechter fällt siebenmal und steht wieder auf. Die Helden unserer Kindheit fielen ja meistens gar nicht hin. Sie blieben aufrecht, gewannen jeden Kampf, trotzten jeder Gefahr. Die wahren Helden aber im Leben da draußen sind die, die wiederaufstehen. Sie sind nicht unverwundbar, aber so lange sie können, kämpfen sie weiter für ihre Ideale, für die gerechte Sache, für die Menschen, die ihnen anvertraut sind, für eine bessere Zukunft. Es ist nicht schwer solche Helden gerade ausfindig zu machen. Der Blick in die Ukraine, der kaum auszuhalten ist angesichts des schreckliches Leides, das die Menschen dort ertragen müssen, zeigt viele solcher Aufstehenden, solche Heldinnen und Helden. Das Mädchen, das im Bunker unter so viele verängstigte Menschen tritt und mit ihrer großartigen Stimme zu singen anfängt. Und damit so viel Mut macht. Der Priester, der Beerdigung um Beerdigung begleitet und nicht müde wird, von Gott zu erzählen, von einer Gerechtigkeit, die noch kommen wird, von einer Zukunft und auch vom ewigen Leben. Der Mann, der seine Familie verabschiedet, aber kämpfen will – für eine Zukunft seiner Kinder in diesem Land, das seine Heimat ist. Die Frau, die in der Westukraine ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger in Erster Hilfe schult, damit sie einander helfen können, wenn die Angriffe kommen. Aber auch die, die fliehen, Mütter mit Kindern, die irgendwie unterwegs Nahrung, Wasser auftreiben, die ihre weinenden Kinder trösten und selber eigentlich so viel Trost bräuchten. Helden im Aufstehen. Es macht traurig, dass die Welt ein solches Heldentum braucht. Aber sie geben Kraft, diese Heldinnen und Helden im Aufstehen. Auch uns geben sie Kraft, weil sie uns zeigen, dass Lebensumstände uns beugen können, aber dass wir zugleich widerstehen können. Dass mehr Kraft in uns steckt, als wir von uns denken. Und dass Gott seine Power uns dazugibt. Gott bewahrt uns nicht vorm Fallen. Aber er hilft beim Aufstehen. Er ist die manchmal unerklärliche Kraft, die uns noch glauben, hoffen und womöglich sogar mitten in allem Hass noch lieben lässt. Und er schickt uns Heldinnen und Helden, die uns die Hand hinstrecken, wenn wir gerade nicht selber auf die Beine kommen. Dort in der Ukraine gibt es ganz viele solcher aufstehenden Männer und Frauen. Und hier helfen Menschen, die ankommenden Flüchtlinge willkommen zu heißen und ihnen beizustehen. Rückschläge für die Hoffnung gibt es genug. Aber Aufgeben ist keine Alternative. Jesus streckt seine Hand uns entgegen. Er ist selber ein Meister im Aufstehen und sogar im Auferstehen.

Bleibt gut behütet!

Sie gingen gestern bei unserem Friedensmarsch vom ZOB zur Kirche Klanxbüll mit – Frauen, Kinder aus der Ukraine, die hier vor Ort angekommen sind. Sie verstanden bestimmt viele Worte noch nicht, die in der Kirche gesprochen und gesungen wurden, aber sie verstanden viel mehr als wir alle: sie hatten Bilder vor Augen, was Krieg anrichtet. Sie hatten Menschen, ganz konkrete Herzensmenschen, die sie in der Ukraine zurücklassen mussten und für die sie Kerzen anzündeten und leise beteten, sie wissen leider längst um die Brutalität von Krieg und trugen tiefe Sehnsucht nach Frieden im Herzen, nach einer Zukunft für ihr Land, nach einer Heimkehr, sobald es möglich ist, nach einem hoffentlich gesunden Zusammenfinden mit denen, die sie zurücklassen mussten. Und sie gaben uns das Gefühl, dass wir Menschen einfach zusammengehören und dass wir gemeinsam für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit eintreten müssen. Ein paar Kerzen gegen Bomben und Raketen, gegen die Brutalität eines aufgezwungenen Krieges, gegen Flucht und Vertreibung. Ein paar Kerzen und die gemeinsame Hoffnung nach einer besseren Welt. Und ganz besonders berührte mich: da stand vorne bei den Kerzen jemand, der mit sich gerade eigentlich dicke genug zu tun haben könnte, der einer unsicheren Woche entgegensieht, mit einem Krankenhausaufenthalt und höchst unsicherem Ausgang. Aber der es sich nicht nehmen ließ zu kommen um für den Frieden zu beten und den Menschen aus der Ukraine zu zeigen: ich stehe an eurer Seite. Dietrich Bonhoeffer, Widerstandskämpfer gegen Hitler, betete im Gefängnis, in das er von der Gestapo geworfen wurde, dieses Gebet:

„Gott, zu dir rufe ich am frühen Morgen

hilf mir beten und meine Gedanken sammeln;

ich kann es nicht allein

In mir ist es finster, aber bei dir ist Licht

ich bin einsam, aber du verläßt mich nicht

ich bin kleinmütig, aber bei dir ist Hilfe

ich bin unruhig, aber bei dir ist Frieden

in mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist Geduld

ich verstehe deine Wege nicht, aber du weißt den rechten Weg für mich.

Vater im Himmel,

Lob und Dank sei dir für die Ruhe der Nacht

Lob und Dank sei dir für den neuen Tag

Lob und Dank sei dir für alle deine Güte und Treue in meinem vergangenen Leben.

Du hast mir viel Gutes erwiesen, lass mich nun auch das Schwere aus deiner Hand hinnehmen.

Du wirst mir nicht mehr auferlegen, als ich tragen kann.

Du lässt deinen Kindern alle Dinge zum besten dienen.“

Bleibt behütet!

Könnte ich das – einem Panzer, der gekommen ist meine Heimat zu zerstören, einfach so entgegentreten, mich vor ihn stellen, den Fahrer auffordern: Fahr heim? Wie es Männer und Frauen getan haben, mitten in der Ukraine, als der russische Panzer in ihre Stadt einrollte?

Könnte ich das – mitten unter Beschuss, im Bunker unter Lebensgefahr mich hinstellen und singen, wie das eine ukrainische Mädchen getan hat? Könnte ich das – mich mit meinem Handy hinstellen und filmen, die leeren Regale im Supermarkt, die Zerstörung in meiner Stadt – und zwischendurch zeigen, wie meine Mutter mit dem, was da ist, doch noch eine Mahlzeit zubereitet – und das posten in Tiktok, wo sonst doch ganz Momente gezeigt werden, Urlaubsfotos, kleine Präsentationen aus sorgenloser Zeit? So wie es Valerisssh täglich tut.

Menschen wie du und ich. Die aber gerade über sich hinauswachsen. Und die Hoffnung wecken, es könnte gehen: mit bloßen Händen gegen einen Panzer. Mit Musik und Handy gegen die Brutalität des Krieges. Und daraus könnte Frieden werden! Was, wenn es gelänge? Gebe es Gott! Vielleicht können wir mithelfen: Kerzen, Beten, Singen, Protestieren, Flüchtlinge aufnehmen, spenden, und selber jedem , jeder freundlich begegnen, wo immer wir gerade sind. Vom heiligen Franz von Assisi stammt das berühmte Gebet: Werkzeug des Friedens: Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens, dass ich liebe, wo man hasst; dass ich verzeihe, wo man beleidigt; dass ich verbinde, wo Streit ist; dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist; dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht; dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält; dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert; dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt. Herr, lass mich trachten, nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste; nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe; nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe. Denn wer sich hingibt, der empfängt; wer sich selbst vergisst, der findet; wer verzeiht, dem wird verziehen; und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben. Bleibt behütet!

Das Bild stammt von Anna aus Emmelsbüll, ganz lieben Dank für die schönen Friedenstauben!!!